Zeitzeugen und ihre Erinnerungen

Drei Menschen erinnern sich an schreckliche und schöne Zeiten im letzten Jahrhundert:

  • Lazlo Leslie Schwartz erlebte als Jude die Schrecken des Nationalsozialismus'
  • Hans Lagleder war Frontsoldat im 2. Weltkrieg
  • Herr Dier erinnert sich an die Nachkriegszeit, den Kalten Krieg, die DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands

Lazlo „Leslie“ Schwartz – ein jüdischer Zeitzeuge besucht das Descartes-Gymnasium und berichtet …

…über den Nationalsozialismus, über die KZ Ausschwitz und Dachau und über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg

Lazlo Schwartz mit Schülern

 Am 20.09.2012 versammelte sich der Jahrgang der Q12 in der 2. Stunde zu einem Vortrag über den Nationalsozialismus im Konferenzsaal. Die nun folgenden beiden Schulstunden des Vortrags verlaufen folgendermaßen: Unser Schulleiter hält eine Rede, anschließend liest Leslie Schwartz wichtige Stationen seiner Kriegserlebnisse vor, bevor ein Dokumentarfilm gezeigt wird, über Hintergründe, die sein Leben betreffen und über eine Schülergruppe, die zusammen mit ihm Informationen über den „Todeszug in Mühldorf“ zusammentragen, indem sie Archive durchsuchen und Zeitzeugen befragen. Am interessantesten für die Schüler der Q12 ist aber mit Sicherheit der letzte Teil des Vortrags, bei dem sie die Gelegenheit haben, Herrn Schwartz selbst die Fragen zu stellen, die ihnen auf der Seele brennen.

Lazlo Leslie Schwartz Lazlo Leslie Schwartz

 

Unser Direktor Herr Seybert hält vor Herrn Schwartzs Vortrag eine Rede, in der er uns daran erinnert, dass wir in einer Zeit voller Frieden aufwachsen, was aber nicht selbstverständlich ist.

Wir sehen, wie recht er damit hat, als der jetzt 82-jährige Leslie Schwartz anfängt, von einer Zeit zu erzählen, die sich heutzutage keiner auch nur im Entferntesten vorstellen kann. Eine Zeit, in der man erlebt, wie der beste Freund in den eigenen Armen stirbt, und in der man niemandem mehr vertrauen kann. Eine Zeit, in der Essen ein Privileg ist. Eine Zeit, in der nur eine Sache wichtig ist: Überleben. Leslie sagt zu uns, dass er sich bei aller Grausamkeit immer gedacht hat: Ich muss das überleben. Allein schon aus dem Grund, dass es jemanden gibt, der davon erzählen kann, welche unglaublichen, unmenschlichen Dinge in der Zeit um 1945 geschehen sind. Und das tut er jetzt auch – Erzählen: In diesen zwei Schulstunden erfahren wir die wichtigsten und auch schrecklichsten Abschnitte seines Lebens – und das Besondere daran ist, dass wirklich JEDER zuhört. Als er vorliest, oder auch, als er die Fragen der Schüler beantwortet, bekommt er so viel Aufmerksamkeit, von der Lehrer im Unterricht meist nur träumen können. Allen ist wohl klar, dass das hier nicht nur irgendwelche abgelesenen Texte wie Quellen in den Geschichtsbüchern sind. Das hier ist echt, es ist wirklich passiert, dieser Mann hat’s erlebt.

Ursprünglich kommt er aus Ungarn. Dort ist er mit seiner Familie aufgewachsen, bis der Zweite Weltkrieg losbrach. Von Nationalsozialisten wurden zunächst alle in Ghettos gebracht, darunter auch Leslie und seine Familie. Was Leslie mit seinen nur 14 Jahren vor allem in Erinnerung geblieben ist, war die Angst – immense Angst vor nur zwei Nationalsozialisten. Er sagt: „Wir waren 7000 Juden, und wir haben so Angst gehabt vor diesen zwei SS-Jungen.“

 

 

 

Von den Ghettos wurden diese 7000 bald ins KZ nach Ausschwitz gebracht – in den sicheren Tod. Leslies ganze Familie kommt in Ausschwitz um – und er sieht sie dort zum letzten Mal. Leslie ist der einzige aus seiner Familie, der dem Tod entronnen ist, und das durch einen glücklichen Zufall: ein alter Freund hilft ihm, in die Männerbaracke zu kommen, die – als arbeitsfähig eingestuft – nach Dachau deportiert werden.

Eine weitere wichtige Etappe ist der sog. „Todeszug von Poing“ – die Häftlinge des KZ Mühldorf, in das Leslie nach der Zeit in Dachau kommt, werden gezwungen, in diesen Zug zu steigen und sollen nicht lebend wieder herauskommen. Leslie ist zu dieser Zeit schon vollkommen ausgehungert und an Typhus erkrankt. Trotzdem gibt er nicht auf. Jedoch ist der Krieg zu dieser Zeit fast zu Ende – bei Poing denkt die Wachmannschaft, der Krieg sei zu Ende und lässt die Häftlinge frei. Leslie flieht – aber die SS-Leute versuchen kurz darauf, die Freigelassen wieder einzufangen. 50 Menschen werden erschossen – ein SS-Mann schießt Leslie eine Kugel in den Kopf. Dieser bricht zusammen. Der SS-Mann sagt zu ihm: „Steh auf und geh zurück in den Zug, oder du bekommst noch eine Kugel in den Kopf!“

Und er steht auf und steigt wieder in den Zug. Wie er das geschafft hat, versucht er uns zu erklären: In den Konzentrationslagern wurden die Menschen bis ans Äußerste ihrer Kraft gebracht, an den Rand der Menschlichkeit, an den Rand ihres Lebens. Menschen, die am Boden liegen, mussten stark sein und aufstehen, wenn sie nicht tot sein wollten. Bei Appellen im KZ, erzählt Leslie, mussten sie oft 5 Stunden stehen, durften nicht umfallen, mussten durchhalten. Und er sagt, dass er sich in solchen Fällen immer geschworen hat, niemals aufzugeben, sondern zu kämpfen.

 

 

 

Zwei Tage nach diesem Vorfall jedoch wird der Todeszug von den Amerikanern gestoppt – der Krieg ist zu Ende, und Leslie kann ein neues Leben beginnen.

Heute lebt Leslie in New York. Aber manchmal kommt er nach Deutschland zurück. Leslie hat keine Wut auf die Deutschen, obwohl das seine Freunde in den USA nicht verstehen können. Er kommt oft nach Deutschland zurück und arbeitet mit Schülern. Sogar seine Frau aus 2.Ehe ist eine Deutsche. Zu uns sagt er, dass wir nicht schuld sind an dem Krieg, am Nationalsozialismus, an allen Gräueltaten und Morden, die unsere Vorfahren vor mehr als 60 Jahren verschuldet haben. Aber er sagt auch, dass wir verantwortlich sind für die Zukunft und dass es an uns liegt, dass so etwas nie wieder passiert. „This is my advice to you“, sagt er – und wir wollen hoffen, dass unsere Generation fähig ist, aus Vergangenem zu lernen und dass ein Krieg wie dieser nie wieder vorkommt.

Elisabeth Hirmer, Q12


 

Kriegserlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg

...über die Luftwaffe, die Front in Ostpreußen und über Rückzugserlebnisse - und schließlich über den Einmarsch der Amerikaner

 

In Finnland: Luftwaffe, Lazarett und Gesundheitsprobleme - Bei der Sanitätsflugbereitschaft in Kemi

Finnland war zum Teil von den Russen erobert worden noch vor dem 2.Weltkrieg. Nun kamen ihnen 1940 die Deutschen unter General Dietl zu Hilfe. Die Finnen kämpften weniger mit Gewehren, sondern vielfach nur mit Messern und Sprengstoff und wenig Brot als Nahrung. So drangen sie weit ins Hinterland der Russen vor, erledigten lautlos die Wachtposten, sprengten Munitionslager in die Luft und sammelten Halsknorpeln als Nachweis für Auszeichnungen. Im Luftwaffenstützpunkt und Lazarett Kemi arbeitete ich wieder in der Verwaltung und teilte die Einsätze der Sanitätsflugzeuge zur Rettung der Verwundeten ein, deren begleitende Feldärzte mich auch in der Nacht (Telefon auf dem Nachttisch eben) anriefen und um Hilfe baten. Die Fronten der Deutschen und Russen lagen so eng nebeneinander, daß bei ungünstigem Wind unsere Flugzeuge über die Stellungen der Russen hinweg landen mußten, im Winter auf Skiern, im Sommer sehr schwierig wegen der 6000 Seen und Sümpfe. Da die Deutschen auch verwundete Russen mitnahmen, beschossen die Russen bei Landung und Start die "Fieseler Störche" (Vorgänger der Hubschrauber) nicht, da die Spione feststellten, daß auch Russen im Lazarett behandelt wurden. Beim Flug und der Überführung von Verwundeten nach Königsberg kamen wir in einen schweren Schneesturm, so daß wir notlanden mußten.

Zufällig setzten wir auf dem Flugplatz Turku auf, der völlig vereist war. Erst ein Randwall des Flugplatzes brachte das Flugzeug zum stehen. Erst am übernächsten Tag konnten wir mit 20 Verwundeten nach Königsberg weiterfliegen und von dort fuhr die Besatzung in Urlaub.
Unser Rückflug fand erst nach gründlicher Überholung des Flugzeugs statt. Dazu ermunterten wir die Bordmechaniker möglichst lange zu brauchen, bis sie die Telegramme verschickten.

Verwundete, die wir einladen mußten, wurden alle in Papiersäcke gesteckt (Kunstdüngersäcke der Industrie) damit sie uns nicht erfroren. Ein eingeschnittenes Loch mußte der Luftzufuhr dienen. Wir verteilten an jeden Verwundeten eine Tafel Schokolade, die mit Tränen in den Augen oder weinend gegessen wurde vor lauter Glück, der Front entkommen zu können.

Im Lazarett in Kemi (Mittelfinnland) wurden nur die Leichtverwundeten versorgt, die schwerere Fälle konnten aus Mangel an chirurgischen und materiellen Geräten und Verbandszeug nicht behandelt werden, sondern wurden nach Königsberg geflogen, um von dort weitergeleitet zu werden, wenn es nötig war. Sehr häufig waren im Winter Erfrierungen, so daß wir vorsichtig zupacken mußten, um nicht ein Körperglied abzubrechen. Auch der Sommer brachte in Finnland keine wesentliche Erleichterung, denn die vielen Sümpfe und Seen waren ein ideales Brutgebiet für Moskitos, die immer die Körperstelle fanden, die an das Moskitonetz stieß (rührte), da Kleidung bei der großen Hitze unerträglich ist. Bei dem schwülfeuchten Klima war die Erkrankung durch Lungentuberkulose häufiger als Schußverletzungen.
Psychologisch war auch die lange Dauer der Mitternachtssonne schwer zu verkraften. Die Sonne geht erst gegen 23 Uhr bis zum Horizont und steigt schon wieder gegen 01 Uhr empor. Bei der Helligkeit Schlaf zu finden, ist ein großes Problem, auch Fensterläden helfen wenig, weil oft die Rentiere mit ihren Geweihen an die Läden klopfen, um zu betteln. Im Sommer mußten vor jedem Abflug erst mühsam die Rentiere aus dem Flugplatz vertrieben werden, um starten zu können. Im Gegensatz zum Sommer waren (sind) die Winter fast unerträglich, nicht nur wegen der Kälte bei relativ wenigem Schnee (Langläufer!!), sondern wegen der dauernden Dunkelheit. Schon im September verabschiedet sich die Sonne für Dreiviertel des Tages und kommt oft nur als Art Morgenröte wieder zum Vorschein. Die tiefstehende Sonne bringt keinerlei Wärme mehr, versetzt aber die Menschen in einen Dämmerzustand bis zur "Schlafkrankheit", sodaß manche Soldaten nur noch erwachten, wenn mit dem Kochgeschirr gescheppert wurde, sodaß sich der Hunger rührte. Wasser konnte man nur erhalten, wenn man Eis oder Schnee zusammenkratzte und auf dem Ofen einschmolz. Urinieren hieß nur noch: "eine Stange Eis hinaussetzen!" - Waschen war mehr oder weniger verboten, auch das Rasieren. Mehr als ein feuchter Waschlappen war mit Recht verboten. Bevor wir die Gefahren der Kälte erkannten, mußten die Wachtposten noch im Freien ihre 2 Stunden zubringen. Erst als diese Soldaten erfroren und als Leichen eingeholt werden mußten, stellte man diese preußische Vorschrift ab. Auch vom Fenster aus im geheizten Wachraum konnte man seine Pflicht vollerfüllen. Wer sollte bei der Kälte auch angreifen wollen. Das Lehrgeld war also teuer.

Wie ich vor dem Tod bewahrt wurde

Nach einem Königsbergflug mit anschließendem Heimaturlaub erfuhr ich nach meiner Rückkehr, daß in dieser Zeit meine Flugzeugbesatzung nach Nordafrika versetzt worden war, um die Verwundeten beim Rückzug von Generalfeldmarschall von Rommel nach Italien zu unterstützen. Während eines Verwundetentransports von Algerien nach der Insel Sizilien, wurde das Flugzeug von den Engländern abgeschossen, und Besatzung und Verwundete ertranken im Mittelmeer. Der Flugzeugführer hatte zu Hause eine junge Frau und zwei unmündige Kinder. Er war mit mir befreundet. Auch der Sanitäter, der statt meiner mitfliegen mußte, kam so ums Leben. Noch heute leide ich unter dem Schrecken und der Tatsache, dass ein anderer für mich sterben mußte, weil ich in Urlaub war. R.I.P.

KZ - Konzentrationslager

Weil ich spüre, daß die Erinnerung an Erlebnisse immer mehr abnehmen, will ich noch einige davon erzählen. Ein Sondererlebnis war (…), dass sogar Wachpersonal für Konzentrationslager gesucht wurde und auch abgestellt wurde. Während sich in dieser Zeit die furchtbaren Täter und Mörder bereits ins Ausland absetzten, suchten sie also schuldlose Männer, die für sie büßen sollten. Die nötigen Gelder waren in die Auslandsbanken längst vorausgegangen. Millionen von armen hilflosen Menschen hatten sie durch die Gasöfen und Krematorien geschickt. Bei Vernehmungen, sollten sie entdeckt werden, sind sie natürlich schuldlos, alles war befohlen.

Panzergrenadier in Ostpreußen (an der Front)

Am Allerseelentag setzte sich der Transportzug in Bewegung, diesmal bereits als Panzergrenadier der Division Hermann Göring unter Hauptmann Müller, unterwegs stießen immer neue Waggons mit "Grenadieren" zum Zug hinzu, als wir über Elbing die Mittelstadt Heiligenbeil erreichten. In der dortigen Infanteriekaserne war für uns schon Platz gemacht worden. Beim Antreten staunten wir alle über die meist hochdekorierten ehemaligen Flieger und von aus Lazaretten entlassenen anderen Soldaten aller Dienstgrade, als uns ein Gefreiter des Heeres als Ausbilder gegenüber vorgestellt wurde, der auch gleich ganz forsch ans Werk ging und uns nach der langen Bahnfahrt in einen langen Laufschritt versetzte und uns hinlegen ließ, um den "teuren preußischen Boden" kennenzulernen. Uns "Schlipssoldaten“ wirbelte er in den nächsten Wochen tüchtig durcheinander, ließ uns Schützengräben bauen und übte Verteidigung vor dem Feind, dessen Kanonen bei gutem Wetter aus dem Osten schon zu hören waren. Am Sylvesterabend wurden wir über Königsberg als nun "tüchtige Feldhasen" nach Gumbinen (Pferdezucht!) verfrachtet-und wie es sich gehört, kalendermäßig zum l. Januar 1945 in die Schützengräben geführt. Vor den gefährlichen Kugeln übten wir unsere erlernte Hasentaktik.

Noch gab es hier unterirdisch angelegte Bunker mit Schlafmöglichkeit. Bald standen wir aber den ganzen Tag in den Schützengräben und erwiderten das feindliche Feuer. Zu unserem Erstaunen hörten wir immer wieder aus Lautsprechern Musik und Durchsagen mit der Aufforderung überzulaufen, denn allen winke beste Erholung und Freude mit schönen attraktiven Mädchen (worauf fröhliches Lacher von Frauenstimmen einsetzte). Außerdem seien wir doch arme Landser, die gerade von Göring betrogen werden, der sein Luxusmahl von Nürnberg aus nach München hat fliegen lassen, während wir geschmacklose Pichelsteiner verdauen müßten. Das Eigenartige war, daß tatsächlich dies unser Feldessen gewesen war. Täglich stahlen sie aus unseren Schützengräben einen Soldaten und wußten daher, was bei uns geschah. Vorerst war noch wenige Tage eine ganz gemütliche Kompanie uns gegenüber. Zur Mittagszeit verkündeten sie Feuerpause, schepperten mit dem Kochgeschirr und hielten sie auch tatsächlich ein. Dann verkündeten sie: “Die Pflicht ruft wieder!“ und schon setzte das übliche Gewehrfeuer und das Donnern der Granaten ein. Diese Zeit änderte sich aber leider viel zu schnell. Eines Tages bemerkten wir Truppenbewegungen und die Anfahrt von Granatwerfern mit Pferden (die machten Gegensatz zu Panzern keinen Lärm).

Stalins Eliteregiment hatte Stellung bezogen. Aus war es mit Musik, Mädchenlachen und Mittagspause. Dafür vermehrtes Trommelfeuer, auf Bäumen Scharfschützen, die kaum noch eine Bewegung im Schützengraben erlaubte. Hohe Verluste setzten ein und wegen der tief gefrorenen Böden mußten die Gefallenen in Hütten massenweise verbrannt werden. Bald merkten wir, daß ein Angriff vorbereitet wurde. Das Aussetzen von Schüssen. deutete immer eine Gefahr an. Tatsächlich erhob sich bald Panzerlärm, die auf uns zurollten. Wir "Hasen" duckten uns und ließen sie über unsere Schützengräben hinüberrollen, wir wußten, daß hinter uns eine noch intakte Flakabwehr mit 8,5-cm-Geschützen bereitstand und dann einen nach dem anderen Panzer beschossen. Jetzt erst kamen die Sturmtruppen zu Fuß an, die in die Garben unserer Maschinengewehre liefen und bald aufgerieben wurden. So war uns "Hasen" nochmals das Leben gerettet. Später begingen die Russen diesen Fehler nicht mehr, sondern setzten ihre Sturmsoldaten auf die Panzer, die alle Verteidiger in den "Gräben“ treffen konnten, so wie wir das taten, daher der Name "Panzergrenadier“. Stalin ließ den Angriff mit neuen Panzern und Soldaten wiederholen, sodaß unsere Stellungen bald unhaltbar wurden und sich der verlustreiche Rückzug in Bewegung setzte, der auch von Ersatztruppen nicht mehr aufgehalten werden konnte.

Rückzugserlebnisse

Äußerlich waren Frontsoldaten im Winter wegen einer weißen mantelförmigen Tarnkleidung beiderseits nur schwer oder kaum zu unterscheiden. Da ich mich damals im Gelände noch sehr gut zurechtfand, schlossen sich mir von unseren zerstreuten Truppen eine große Schar an, und wie bei Soldaten üblich schritten wir im Gänsemarsch in Richtung Westen, wo eventuell noch Hilfe zu erwarten war. Eine weitere Gänsemarschgruppe marschierte mit geringem Abstand neben uns Deutschen. Da bat mich der Vordermann der Nebentruppe um "Machorka" =Zigarette. Jetzt wußte ich, dass es Russen waren, die schon längere Zeit neben uns marschierten. Als ich in deutscher Sprache verneinte, merkte auch der erschrockene Russe, wer wir waren. Um ein Massenmorden zu verhindern, hob ich die Hand zum Zeichen, sie sollten warten, und so ließen sie uns abziehen, ohne daß auch späterhin ein Schuss fiel.

Tapferkeit war das sicher nicht, denn ich spürte, dass meine Hose feucht geworden war und schwerer. Im nächsten sicheren Wäldchen tat ich das, was wohl jeder in einem solchen Fall tut. Ein dichtes Gebüsch verbarg meine folgende Tätigkeit. Schließlich fanden wir einen Gutshof, wo noch alles ruhig war und wir verpflegt werden konnten. Sogar ein Strohlager gab es für die Nacht.

"Hurra, ich bin verwundet…“ - das war vielfach der Ausruf nach einer nicht zu schweren Verwundung, wenn Aussicht bestand, dem Kriegslärm zu entkommen. Inzwischen war ein ganzes deutsches Bataillon zu einer Kompaniestärke zusammengeschmolzen, d.h. statt rund 4000 Mann nur noch 400. Ein Wehrmachtsmajor hatte uns zusammengeführt. Wir lagen in einem großen ostpreußischen Gutshof in Quartier und wurden von einer Gutsköchin gut verpflegt, was wir alle sehr nötig hatten. Für den nächsten Tag war ein Gegenangriff geplant.

Bei jedem Rückzug bleiben die Verwundeter in einem Haus zurück und sind auf die Gnade des Siegers angewiesen. Wir kamen zu dem Haus der zurückgebliebenen Verwundeten und sahen, daß alle aufs beste verbunden, verpflegt und gewaschen waren. Ein aus Deutschland vertriebener Jude hatte sie gefunden und sich ihrer angenommen. Er war aber nicht mehr auffindbar. In einem zweiten Haus gab es auch Verwundete, die von Stalin-Elitetruppen gefunden wurden. Sie hatten die Fenster eingeschlagen, die Kranken mit Wasser übergossen, sodaß sie alle unter dem Eis (- 20°!) erfroren und als Leichen dalagen. Sowas geschah den Russen auch von Seiten der deutschen SS.

Haß macht eben unmenschlich.

Vor einem Gegenangriff schossen die Russen aus einem mittleren Gutshof mit Granatwerfern auf uns Deutsche, als wir uns zum Sturm auf sie bereitmachten. Ein junger, wohl noch unerfahrener Soldat wurde von einem Granatwerfergeschoß getroffen und blieb schreiend liegen. Ich war in seiner Nähe, robbte auf ihn zu und nahm ihn auf meinen Rücken, um ihn zurückzutragen. Jetzt waren wir beide ein gutes Ziel für die Granatwerfer aus dem Gutshof. Sie trafen uns auch. Der schon Verwundete bekam noch mehr ab als ich selbst. Ich legte ihn bei der nächsten Schützenkette in hilfreiche Hände. Auf der Krankenstation des Gutshofes stellte man einen Durchschuß im linken Unterschenkel in Nähe des Knöchels fest und viele kleine Splitter im Rücken, Armen und Beinen.

Mein Kochgeschirr war durchlöchert, gab aber an dieser Stelle dem Körper Schutz. Ein ärztlicher Verwundetenschein gab mir die Möglichkeit, ein Lazarett aufzusuchen, aber es war ein weiter Weg. Damit war ich aus dem Soldatendienst ausgeschieden. Für einen Bauerbuben konnte das nur der 2. Februar, der Lichtmesstag, sein, da scheiden Knechte und Mägde aus dem Dienst und können ihr Leben verändern. Beim Marsch überholte mich seitlich auf einer Anhöhe ein russischer Panzer. Meine Panzerfaust, die ich noch bei mir trug, setzte ich aber nicht ein aus Furcht vor Folgen bei einem Fehlschuss. Der Panzer drehte wieder ab, weil er allein war und keine Auseinandersetzung wollte mit einer ganz dichten Absperrtruppe der Deutschen, die schussbereit in Gräben wartete. So kam ich hinkend zu einem kleinen villaähnlichen Haus, in dem ich auf einem Tisch, Kaffee, Brot und eine große Dose Zucker fand. Nach wenigen Minuten hatte ich alles aufgegessen und sah mich im Hofe um. Da stand gerade ein Wehrmachtswagen, der einen verwundeten Offizier aufnahm, um ihn ins Lazarett abzutransportieren. Ich setzte mich einfach dazu, ohne viel zu fragen und kam so in ein Notlazarett bei Steinsberg. Da schon alles überfüllt war, wurden die Verwundeten in eine evangelische Kirche gesetzt, um über Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. In der Sakristei der Kirche nahmen mich zwei kräftige wohlbeleibte Sanitäter in ihre Mitte, denn Narkosemittel hatte man nicht mehr, höchstens noch bei Entfernung eines Gliedes, und das mit einer gewöhnlichen kleinen Säge.

Mehrere größere Granatsplitter wurden so aus meinem Rücken mit einer Pinzette entfernt. Man sagt zwar, man höre in einem solchen Falle die Engel singen. Bei mir war das nicht so himmlisch, vielmehr kreischte ich ganz irdisch, schon eher tierisch. Am nächsten Tag konnten wir mit einem Zug, der noch ging, fast bis Braunsberg am Frischen Haff fahren. Dann lagen wir wieder in einem Wohnzimmer eines Gutshofs, von dem aus die Verwundeten weiter transportiert wurden, wenn sie mindestens getragen werden konnten. In Stettin kamen wir in einen Lazarettzug, der diesen Namen nicht verdiente, aber wir drängten, weil die Russen schon Stettin beschossen. Auf der küstennahen Strecke der Eisenbahn ging es westwärts schließlieh über die Inseln Üsedom und Wollin in Richtung Münster. Im Personenzug 3. Klasse fielen über uns Verwundete die Läuse in Mengen her. Sie saugten sich an den z. Teil noch leicht blutenden Wunden fest und erzeugten ein schweres Läusefieber. In den Filzstiefeln war bei mir alles abgeschlossen und ohne Luftzufuhr. Vor Oldenburg untersuchte ein Arzt meinen Fuß, der schon den Wundbrand hatte, und ließ mich aus dem Zug holen, um im Lazarett in Oldenburg operiert zu werden. Zuerst mußten wir alle entlaust werden, bevor wir in ein Lazarett Bett durften.

Als ich am nächsten Tag operiert, gewaschen und rasiert war (ich trug einen Vollbart, da an der Front rasieren unmöglich war!!) stellte mein Bettnachbar fest: „Ich glaubte einen alten Opa neben mir zu haben, und nun sind sie ein jugendlicher Mann geworden. Das muß Zauberei sein!"

Rückkehr nach Hause und Entnazifizierung

Auch die kleineren Splitter wurden aus dem Körper entfernt, so daß ich allmählich wieder gesund wurde, nur der Durchschuss war noch nicht verheilt, aber schon gebessert. Wie fanatisch sogar Rotkreuzschwestern sein konnten, zeigte sich, als ich im scheinbar vertrauten Gespräch feststellte, dass der Krieg wohl verloren sei, weil die Engländer schon auf dem rechten Rheinufer standen. Sofort sperrte mir die Schwester alle Zulagen zur Wiedergenesung und die Drohung mit KZ stand im Raum. Das Vorrücken der Engländer über die Niederlande nach Norddeutschland führte zur Verlegung des Lazaretts nach Münster. Ich sollte die Soldaten dorthin bringen und erhielt alle Marschpapiere.

In Bremen ergriff ich die Gelegenheit, als mir der Bahnhofsoffizier bereitwillig Fahrscheine über Leipzig, Regensburg nach Eggenfelden ausstellte, nach Hause zu fahren. So übergab ich die Papiere meinem Stellvertreter und fuhr los. Das sollte aber nicht so leicht gehen. Amerikaner und Engländer hatten gerade im März Leipzig bombardiert, später auch Regensburg und Landshut. Die Züge hielten also kurz vor diesen Städten und alle mußten durch die Städte zu Fuß marschieren, bis wieder ein Anschlußzug fahren konnte. Meinen linken Fuß hatte ich nur mit Mühe in einen Filzstiefel zwängen können, sodaß der Weg jedesmal sehr schmerzvoll für mich war. Von Eggenfelden mußte ich mit einem Pferdefuhrwerk abgeholt werden, weil wir zu Hause noch kein Auto hatten. Aber die Freude meiner Mutter wog alle Beschwernisse voll auf.

Noch mußte ich im Reservelazarett vom 10. März an behandelt werden, ging aber kaum noch hin, vor allem seit am 1. Mai die Amerikaner durch meine Heimat durchgezogen waren. Offiziell wurde ich erst am 7.6.45 entlassen aus der Lazarettbehandlung. Aus der Wehrmacht bzw. Luftwaffe wurde ich erst von den Amerikanern entlassen, die ein Lager in Wurmannsquick aufgerichtet hatten, von wo aus vor allem Parteimitglieder und SS-Leute noch in andere harte Lager verlegt wurden, um die Umerziehung des deutschen Volkes in Angriff nehmen zu können. Ich wurde als Nicht-Parteimitglied von der Entnazifizierungskammer als "nicht betroffen" begutachtet und konnte daher ungehindert mein Studium in München aufnehmen, und wurde als Ersatz von Volksschullehrern, die der Partei NSDAP angehört hatten, in den Schuldienst an der Volksschule in Arnstorf verpflichtet.

Einmarsch der Amerikaner

...vom Rhein, durch Württemberg und Bayern nach Österreich und Richtung Wien. Im Laufe des Monats April rückten die Amerikaner in raschem Tempo in Bayern vor, in Regensburg sprengte die SS noch einen Teil der Steinernen Brücke, ermordeten 3 Rgbg. Bürger, darunter den Domprediger Johannes Maier, zogen sich dann zurück in die sog "Alpenfestung", die sich als Phantom erwies, bis im Nürnberger Prozeß alle wichtigen Kriegstreiben verurteilt wurden.

Die Amerikaner wurden von vielen Deutschen gerufen und gedrängt, die Befreiung von den Nazis durchzuführen. Am 1. Mai waren sie vor Falkenberg angekommen. Selbst da versuchten die SS-Leute noch Flakgeschütze aufzustellen, genau an der Stelle, wo die Amerikaner die Kirche treffen mußten.

Am Tag zuvor, am 30.April waren etwa 200 KZ-Insassen aus Dachau auf Landwegen angekommen, wobei alle erschossen wurden, die nicht mehr marschieren konnten. Am späten Nachmittag wurden die KZ-ler in unseren Bauernhof getrieben, weil sie in unserem Stadel, der übersichtlich war, übernachten sollten. Die Kapos ließen sich noch von meiner Mutter verpflegen, hinderten die Gefangenen nach Möglichkeit kleine Kartoffelmengen auf dem Ofen zu braten, denn sie würden ja am nächsten Tag voll verpflegt werden. In der Nacht erlebte ich, daß die Kapos in ihrer Schlafkammer laut träumten und dabei schrien. Am nächsten Tag, als die Amerikaner schon auf der Straße nach Eggenfelden mit ihren Panzern waren und ihre Flugzeuge über unserem Hof kreisten, entfernten sie sich fluchtartig in die nahen ausgedehnten Wälder. Die an den Verbrechen sicher unbeteiligten Amberger Wachtposten ließen sie wortlos zurück. Als die Amerikaner den ersten Warnschuß auf unser Haus abgaben, der zwei Mauern durchschlug und nahe an meiner Schwester Maria vorbeiflog, gab ihnen meine Mutter eine weiße Fahne mit dem die Amberger Soldaten den Amerikanern entgegengingen, die verlangten, dass ihnen die Häftlinge aus Dachau sofort übergeben würden. Die Amerikaner, die wohl sahen, dass die Schuldigen sich abgesetzt hatten, zerschlugen die Gewehre der Aufseher, ließen sie aber ungeschoren und nach Amberg heimgehen.

Weitere Schüsse der Amerikaner hatten noch das Haus unserer Tanten in Eggerding durchschossen und den Stadel im Klamperhof in Eggerding in Brand geschossen und einen Teil der Kirche von Falkenberg schwer beschädigt, weil man die Geschütze auf dem Hofbauerngarten noch nicht entfernt hatte. Von da fuhren die Amerikaner mit den Panzern nach Eggenfelden und über Neuötting nach Altötting, wo durch die Machenschaften der SS noch 5 Bürger ermordet wurden. Am Abend versammelte sich das ganze Dorf Geiersberg in der Dorfkapelle, um den Mariarosenkranz gemeinsam als Dank für die Errettung zu beten.

Nachtrag: Gesundheitsprobleme eines Frontsoldaten

Erst als Panzergrenadier lernte ich das eigentliche Problem des Soldaten an der Front kennen. Man ist von früh bis spät und oft die ganze Nacht Wind und Wetter, Regen und Schnee ausgesetzt, was einen ständigen Angriff auf die Gesundheit bedeutet.

Der ganze Körper wird müde und matt, sodass man Lasten kaum noch schleppen kann.
Die fehlende Hygiene belastet immer mehr. Urin und Stuhl bedrängen und werden oft beim Marsch zu einer Lebensgefahr, wenn man hier Abhilfe schaffen will. Kommt man dann wirklich einmal in ein Haus, versucht man sich sofort zu waschen und die Wäsche zu wechseln. Wenn wir in eine Wehrmachts-Kleiderkammer eindringen konnten, zogen wir alle Wäsche, oft auch gleich die Uniform aus und erneuerten alles von Grund auf. Im Winter zogen wir uns gleich drei Garnituren Unterwäsche an, um vor Kälte besser geschützt zu sein. Nacheinander entledigte man sich einzelner Teile, indem man die untersten Stücke aufschnitt und wegwarf, wenn sie verschmutzt waren.

Als Messer diente das sog. Seitengewehr, ein spitzer Dolch, der früher auf die Gewehre aufgesteckt wurde, wenn es zum Nahkampf kam. Seit es die Schnellfeuergewehre gibt, fällt diese Art Kampf (Metzgerei!) aus.
Menschlicher ist aber noch nichts geworden. Ein eigenes Problem sind die Socken, die den Füßen schnell schaden, Fußlappen ersetzen sie heute allgemein. Wenn man dann verwundet wird und in ein Lazarett eingeliefert werden kann, dann ist es die erste Wohltat, frische Wäsche zu bekommen, und gründlich gewaschen (und entlaust!) zu werden. Daher meine erwähnte Verzauberung und Verjüngung im Reservelazarett Oldenburg.

Die Forderung nach "Nie wieder Krieg!" allein kann alle diese furchtbaren Probleme lösen und den mißbrauchten Menschen wieder zum echten glücklichen und fürsorglichen Menschen machen.

verfasst von Hans Lagleder, *1917, +1999, nach seiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg
zusammengestellt und gegliedert von Elisabeth Hirmer, Q12


Interview mit Herrn Dier: ein Zeitzeuge spricht über die DDR

Eigentlich suchen wir im Neuburger Stadtarchiv nach alten Zeitdokumenten und Tagebüchern. Doch es kommt anders, als wir direkt auf einen Zeitzeugen treffen. Herr Dier ist ein um 1945 geborener Herr, der die Zeit des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands in Ost und West hautnah miterlebt hat.
Er lebt in Neuburg, aber er ist so freundlich, uns zu erzählen, was er noch weiß aus dieser Zeit, die für unsere junge Generation doch weit zurückliegt.

Freundlich und geduldig beantwortet er unsere Fragen, oft in alten Erinnerungen schwelgend, die durch unser Gespräch wieder wachgerufen werden...

Was ist Ihnen von der Nachkriegszeit in Erinnerung geblieben?

Es war alles zerstört, wir hatten kaum etwas zu essen. Aber das Besondere an dieser Zeit war, dass es immer aufwärts ging.
Alles wurde wiederaufgebaut, allgemein herrschte große Freude. Es konnte nur besser werden. Man konnte Leuten selbst mit Kleinigkeiten eine große Freude machen.
Wenn einmal ein ganz besonderer Tag war, haben wir ein Hähnchen gegessen.
Heute, in dieser „Wohlstandsgesellschaft“, haben sie Menschen so viel mehr und wissen das gar nicht zu schätzen. Sie sind immer unzufrieden, was es damals gar nicht gab.
Ich weiß oft gar nicht, was ich meinem Bruder zum Geburtstag schenken soll, weil er schon so viel hat.
Meine ältere Schwester hat ihr Geld damals in Lohntüten bekommen. Da hatten sie für jeden schon sein Gehalt in einzelne Tüten genau abgezählt und der hat das dann bekommen.

Wie haben Sie die Gefahr des Kalten Krieges empfunden?

Ich habe es nicht als Gefahr empfunden, ich habe mich nach dem Krieg sicher gefühlt. Und am Ende hat ja das Wettrüsten den Frieden gebracht.

Sie haben ja nicht in der DDR gelebt, aber wissen Sie trotzdem etwas darüber, wie die Menschen jenseits der Mauer gelebt haben?
Was wissen Sie über die DDR und über den Mauerfall?

Nach dem Mauerfall, den man natürlich groß in den Nachrichten gehört hat, bin ich mit einem Freund für 4 bis 5 Tage in die DDR gefahren.
Es hätten 4 Wochen sein können, weil ich so viel erlebt habe.

Besonders habe ich natürlich die unwahrscheinlich große Freude und Euphorie der Menschen bemerkt.
Aber man hat sehr bald große Unterschiede zum Westen gesehen. Die Autobahnen führten oft nicht durch die Dörfer, sondern an ihnen vorbei und man konnte sie kaum befahren, weil in der Straße große Schlaglöcher waren.

Im Osten hat man fast alles zu einem für uns „Westler“ Spottpreis bekommen. Wir waren in einem eigentlich teuren Restaurant – die Speisekarte hab ich immer noch – wo man mit lächerlichen Preisen im Pfennigbereich bezahlen musste. Da sagte mein Freund zu mir: „Jetzt könntest du dir den eigentlich teuren Heringssalat ruhig kaufen, und wenn du ihn nicht magst, zurückgeben, weil er ja so billig ist.“

Um die Leute zu bezahlen, wenn wir etwas gekauft haben, haben wir, bevor wir losgefahren sind, eine ganze Menge an Schokolade, Südfrüchten, Damenfeinstrumpfhosen und Kaffee mitgebracht. Das war im Osten so sündhaft teuer, dass es sich dort keiner leisten konnte, im Westen bekam man sowas für einen Spottpreis.
Aber in der DDR wurde uns klar: Wir hätten viel mehr davon mitnehmen sollen. Die Leute waren so unendlich dankbar dafür.

In einem Laden wollte ich ein Fernglas kaufen. Es kostete 120 DDR Mark – für mich extrem billig, eigentlich unter dem eigentlichen Wert, deshalb gab ich ihr 120 Westmark.
Dazu gab ich ihr noch Feinstrumpfhosen. Sie hat vor Freude geweint, so glücklich war sie. Zu dem Fernglas gehörte ein schöner Karton, den ich auch mitnehmen wollte,
aber es wäre zu auffällig gewesen, ihn gleich mitzunehmen. Deswegen hat sie mir versprochen, dass sie ihn mir nachschickt. Als ich zu Hause den Karton fand, war ein Kuchen drin. Damit habe ich nicht gerechnet, aber ich habe mich sehr darüber gefreut.

Anja Großhauser, Sabine Dorneburg und Elisabeth Hirmer, Q12