Die Macht der Rede im antiken Rom und heute

Ein Vortrag von Prof. Dr. Wilfried Stroh

“Quo usque tandem abutere, Catilina, patentia nostra?” lautet der Anfang der wohl berühmtesten Rede des römischen Redners Cicero gegen Catilina, der im Jahre 63 v.Chr. versuchte, einen Staatsstreich, die sog. Catilinarische Verschwörung durchzusetzen und seinen ärgsten Widersacher, nämlich Cicero selbst, zu ermorden.

Wie machtvoll eine Rede sein und welchen Einfluss sie ausüben kann, war Thema des Vortrags von Prof. Dr. Wilfried Stroh, zu dem die 9. und 10. Klassen, sowie die Lateinkurse der Oberstufe eingeladen waren.

Prof. StrohStroh, Professor für Klassische Philologie und Experte in Sachen römischer Rhetorik, verstand es, uns Schülern die große Bedeutung der Rede im alten Rom anschaulich nahezubringen, indem er Cicero – sein Porträt während des Vortrags auf der Krawatte des Professors präsent – als das Paradebeispiel römischer Redekunst anführte. Denn unter den vielen Reden, die aus dem alten Rom überliefert sind, ist wohl keine Rede so eindrucksvoll wie die erste Rede Ciceros gegen Catilina. Aus dem Stegreif improvisiert, gelingt es Cicero seinen Kontrahenten allein durch seine Redegewalt zu überwältigen und jeden Versuch einer Verteidigung zu unterbinden. Dies hatte zur Folge, dass Catilina keine andere Möglichkeit mehr sah, als sich zu seinen aufständischen Truppen, die den Putschversuch unterstützen sollten, zurückzuziehen. Damit beging er nach römischem Recht Hochverrat und erfüllte im Nachhinein genau jenen Tatbestand, den Cicero ihm in seiner Rede vorgeworfen hatte.

Dass diese Rede Ciceros die Jahrtausende überdauerte und noch heutzutage jeder Schüler, der den Lateinunterricht besucht, früher oder später mit dieser Rede konfrontiert wird, zeugt von der beeindruckenden Macht und Wirkung, die diese Rede damals auf ihre Zuhörer gehabt haben muss. Was also macht eine gute Rede, wie sie von Cicero gehalten wurde, aus? Professor Stroh bezieht sich mit seiner Antwort auf den griechischen Philosophen Aristoteles, der forderte, dass eine gute Rede a) sachlich, jedoch zugleich b) emotional und schließlich c) vertrauenswürdig zu sein habe. Kriterien, die sowohl Cicero als auch der Professor selbst durchaus umzusetzen wissen.

Doch wie steht es um die Bedeutung der Rede in der heutigen Zeit? Verglichen mit der Funktion der Rede im alten Rom, Menschen zu beeinflussen und zu überzeugen, scheint es um die Rede heute mehr schlecht als recht zu stehen. Denn egal ob es sich um eine Rede im Deutschen Bundestag zur Innenpolitik oder um eine Rede des EZB-Chefs Mario Draghi zur Rettung des Euro handelt; solche Reden seien, so Professor Stroh, „rhetorisch bedeutungslos“, da ihre Wirkung lediglich auf der Machtposition der Redner beruht, nicht mehr wie in der Antike die Zuhörer überzeugen müssen. Ein Zustand, der durchaus beunruhigend ist und den Lateinprofessor zu Recht die Frage aufwerfen lässt, weshalb die Rede in demokratischen Staaten, in denen doch Meinungsfreiheit herrscht, „ohnmächtig“ zu sein scheint. Der Ausruf „O tempora, o mores!“, ebenfalls ein Zitat von Cicero, trifft auch hier leider zu.

Dabei dient die Beherrschung der Redekunst (lat. ars dicendi) keineswegs als ein bloßes Mittel, um eine Rede sprachlich verschönern und ausschmücken zu können, sondern hilft dem Einzelnen, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese überzeugend äußern zu können. Nicht umsonst gehörte Rhetorik in der Antike fest zur römischen Schulbildung. Auch Cicero war von der Wichtigkeit der Rhetorik und ihrer Weitergabe überzeugt. Deshalb gilt es hier anzumerken, dass das Fortleben seiner Rede(n) vollkommen in Ciceros Sinn gewesen ist. Denn – und nun lieferte Professor Stroh die Erklärung, weshalb Ciceros Reden zweitausend Jahre später noch immer in lateinischen Schulbüchern zu finden sind – Cicero schrieb all seine Reden gegen Catilina im Nachhinein nieder und veröffentlichte sie aus pädagogisch- didaktischen Gründen, damit zukünftige Schülergenerationen die Möglichkeit haben, von seinem rednerischen Geschick zu lernen (was auch jeden Lateinlehrer sehr freuen dürfte).

An dieser Stelle gebührt Herrn Professor Stroh ein herzlicher Dank für diesen interessanten und in seiner Thematik hochaktuellen Vortrag.

 Katja Schmidt, Q12